Gespräch mit dem Regisseur
   
 

Wie kam euer Projekt zustande?
Jürg Neuenschwander: Ich habe schon in Asien und anderen Kulturgegenden gefilmt, daneben immer auch in der Schweiz. Es war schon lange mein Anliegen, beide Stränge, die Behandlung der fremden Kultur und der eigenen, einmal zusammenzuführen. Ein weiterer Grund liegt in der aktuellen Diskussion um Globalisierung und Regionalisierung. Auch darüber wollte ich einen Film machen.

Im Film kommt eine Art offizieller Teil vor: Eine Delegation westafrikanischer Viehzüchter besucht die Schweiz, wahrscheinlich auf Einladung einer Entwicklungsorganisation. Spielte das bei der Themenwahl eine Rolle?
J.N: Nein, gar nicht. Ich wusste zunächst gar nicht, dass so ein Treffen stattfindet. Es wurde übrigens nicht von einer Entwicklungsorganisation in die Wege geleitet, sondern ging aus einer Initiative der APESS (Vereinigung der Viehzüchter des Sahel) hervor. Ly, der im Film vorkommt, ist der Hauptinitiant. Aber wie gesagt, das habe ich erst später erfahren. Ich habe zuerst einmal ganz einfach nach Themen gesucht, die in der Schweiz Bedeutung haben und genauso in einem anderen Land. Da kam ich auf die Diskussion um die Liberalisierung des Milchpreises und des Käsemarktes in der Schweiz. Die Bauern hatten Angst. Die Milch wurde zum Thema. Daraufhin habe ich in die Ferne geschaut und gesucht, wo die Milch auch ein Thema ist. So kam ich auf die Sahelzone und auf die Peul, ein Hirtenvolk, das seit Jahrhunderten mit den Kühen lebt. Dann habe ich Kontakte geknüpft.

Ein Film mit Bauern und Kühen - ist das nicht ein Risiko?
J.N: Doch, natürlich. Das Thema ist sehr belastet, es gab in der Schweiz einige exotisierende oder pessimistische Bauernfilme, in deren Richtung ich mich nicht bewegen wollte. Deshalb habe ich mich schon sehr früh entschlossen, mit Leuten zu arbeiten, die vorwärts schauen, und sagen: Wir machen etwas aus dieser Situation.

Wie hast du deine Protagonisten denn ausgewählt?
J.N: Erstens sollten sie eine Vision haben, ein Projekt verfolgen, Lust an der Veränderung zeigen. Zweitens suchte ich Leute, die eine gewisse Produktionsgrösse haben. In der Schweiz habe ich das an der Milchmenge festgemacht. Ich liess mir von Swiss Dairy Food eine Liste geben mit Produzenten, die Milchkontingente haben von 100 000 Liter oder mehr. Dann habe ich die besucht und mir die Passenden ausgesucht. Ich wollte nicht Leute, die Angst haben müssen, ihren Hof aufzugeben, sondern solche, die einen Weg suchen und wagen. Auch in Mali und Burkina Faso habe ich erfolgreiche Viehzüchter gesucht, wobei dort nicht die Milchmenge, sondern die Viehzahl entscheidend war. Und auch hier handelt es sich ausnahmslos um moderne Züchter, das heisst im Kontext des Sahel um solche, die das Nomadentum aufgegeben haben und akzeptieren, dass eine sinnvolle Viehhaltung nur noch möglich ist, wenn sie sesshaft werden und ihre Herde reduzieren und füttern - wenn sie also allmählich zu einer intensiveren statt nur extensiven Viehhaltung übergehen.

Dieser Zusammenhang - die Entwicklungsproblematik des Sahel - wird im Film nicht direkt angesprochen. Ist er wichtig?
J.N: Der Film ist auf einer anderen Ebene angesiedelt. Aber ich habe im Vorfeld Recherchen dazu gemacht. Die Bodennutzung im Sahel ist extrem, es gibt viel zu viele Kühe. Das beschleunigt die Wüstenbildung. Dazu kommen Siedler aus dem Süden, aus den Ländern an der Küste. Wenn es wieder zu einer Dürre kommt wie 1987, wird die Lage schnell katastrophal. Eine intensivere Viehwirtschaft mit weniger, aber besseren Kühen, ist lebenswichtig für die Peul.

Du sprachst von Nomaden - gibt es die noch unter den Peul?
J.N: Tatsächlich gibt es sie kaum mehr, aber im Kopf sind sie alle Nomaden. Die Peul sehen sich selber als die Chefs des Sahel und schauen auf die Bauern hinab wie auf eine minderwertige Klasse. Als Folge der Wüstenbildung gibt es auch die umgekehrte Migration - vom Norden nach Süden, Richtung Côte d'Ivoire. Dort leben traditionellerweise Bauern. Bei Konflikten kommt es dort bald einmal zu Schiessereien.

Wie viele Tiere haben denn erfolgreiche Viehzüchter, wie im Film Hamadoun und Amadou?
J.N.: So ein Eleveur hat locker 3'000 Kühe, beschäftigt 25 Hirten, die alle für ihn unterwegs sind, während er selber allenfalls mit dem Töff oder 4x4 herumfährt. Als wir mit Hamadoun unterwegs waren, sagte er öfters: "Hier habe ich auch eine Herde."

Das Thema Globalisierung ist ein aktuelles, aber du machst es an einem der ältesten Konsumprodukte fest, der Milch.
J.N: Die Milch prägt uns in der Schweiz, wir sind irgendwie alle Kuhhirten. Bei den Peul ist das genau gleich. In ihrer Weltentstehungssage, die im Film vorkommt, wächst die Welt aus einem Tropfen Milch. Diese traditionelle Schiene hat mich interessiert, ich wollte das Thema Globalisierung nicht über ein modernes, globales Produkt transportieren, das den Menschen weltweit mit den gleichen Werbekampagnen übergestülpt wird. Ein anderer Ausgangspunkt meiner Recherchen war, dass in der Schweizer Landwirtschaft schon lange der Markt herrscht, ein durch Subventionen verzerrter zwar, aber trotzdem. Die Peul stehen da erst ganz am Beginn einer Entwicklung. Bei den Peul herrscht Subsistenzwirtschaft, die Kuh hat einen Wert im Alltag, nicht auf dem Markt. Die Schweizer Milchbauern stehen dagegen am Ende dieser Entwicklung: Viele müssen sich ja jetzt fragen, ob sich für sie die Produktion von Käse noch lohnt.

Bei den Peul gibts gar keinen Käse...
J.N: Nein, denn für sie ist die Kuh, wie sie sagen, ‹ein Bruder›. Deshalb kann ein Peul nicht vermarkten, was seine Kuh produziert, er darf die Milch höchstens verschenken. Es gibt keinen Drang, das Produkt zu veredeln und zu konservieren.

Nochmal: Wieso kommen die Westafrikaner in die Schweiz?
J.N: Amadou und Hamadoun sind auf meine Einladung hin gekommen. Die anderen sind Mitglieder der APESS, der Organisation für die Viehzüchter des Sahel. Die werden unterstützt von der Deza, der eidgenössischen Entwicklungshilfe. Eine der Untergruppen der APESS ist der Conseil Mondial des Eleveurs, ein Weltkongress der Viehzüchter. Die Idee dabei ist, dass die Peul ein grosses traditionelles Wissen haben, das den Landwirten des industrialisierten Nordens verloren gegangen sei. Ziel des Kongressses ist es, das verschüttete Wissen aller Viehzüchter zu reaktivieren. 1999 fand er eben in der Schweiz statt, aber es kam kaum jemand aus der Schweiz, auch nicht grüne und alternative Bauern. Aber dieser ganze Kongress, das hat mich nicht sonderlich interessiert. Amadou, den Viehzüchter, den ich eingeladen habe, ist allerdings auch Mitglied in der APESS.

Schweizer und Westafrikaner begegnen sich im Film paarweise - nach welchen Kriterien hast du Hamadoun Dicko und Hanspeter Heimberg und die anderen zusammen geführt?
J.N: Der Grosszüchter aus Burkina Faso, Hamadoun Dicko sollte sich mit dem Stallfabrikbauer austauschen. Den Demeterbauer Hurter, der mir bei den Recherchen viele Geschichten erzählte über Kühe, wollte ich mit Ly zusammenbringen, der Anderes ähnlich gesagt hat. Es ging mir darum, jeweils das Gleiche in der Differenz zu sehen.

Das tönt sehr nach Inszenierung. Wieviel darf man als Dokumentarfilmer inszenieren?
J.N: Ich darf viel inszenieren. Nur muss der Film authentisch sein, das heisst, ich erfinde keine Realität. Aber ich konstruiere Situationen und wähle Schauplätze aus: Hurter und Ly müssen beispielsweise von ihren Kühen umringt sein, damit sie zu ihren Geschichten inspiriert werden. Die zwei eher kommerziell orientierten Gesprächspartner stellen wir dorthin, wo es richtig maschinell zu und her geht. Bei Hanspeter Reust und Amadou Dicko, dem dritten Paar, wollte ich wissen, weshalb die Welten auseinanderklaffen: Reust ist ein kapitalistischer Dynamo, der seine Milchdrinks in die Golfstaaten exportieren will - und ein Afrikakenner, denn er hat mal in Ghana eine Käserei aufgebaut. Amadou Dicko dagegen ist weit weg von der Marktwirtschaft. Ich wollte sehen, wie die beiden aufeinander reagieren. In dieser Paarung spielt noch der Käser auf der Alp eine Rolle, da klappt das Verständnis mit Amadou, aber Reust, das sieht man ja, der hört nicht zu, sondern redet Amadou den Kopf voll.

Inszeniert sind natürlich auch die Szenen im Auto...
J.N: Hamadou und Amadou kamen in der Schweiz an, dann habe ich über Nacht die Kamera ins Auto eingebaut. Am nächsten Morgen gings los. Sie wussten ja, dass wir filmen wollten. Wir fuhren zu einem der Schweizer Bauern. Ich habe überhaupt keine inhaltlichen Vorgaben fürs Gespräch gemacht oder Inputs gegeben.

Die Ausschnitte aus den Autogesprächen von Hamadou und Amadou sind oft wunderschön treffend. Wieviel Film musstet ihr abspulen, bis ihr soweit wart?
J.N: Drei Stunden etwa.

Wie habt ihr das Problem der Sprache gelöst - die beiden unterhalten sich ja ausschliesslich in Peul?
J.N: Ja, das war komisch. Auch bei den Szenen in Afrika, als die beiden nach Hause kamen. Der Kameramann musste immer entscheiden: Filmen wir jetzt hier oder dort? Dieses Risiko wäre ich zu Beginn nie eingegangen. Aber nach vielen Wochen Recherche hatte ich Leute um mich herum, die übersetzen konnten, die genug wussten von mir und was ich wollte. Sie wurden de facto zu Regieassistenten. Sie hatten bei solchen Drehsituationen ihre Antennen ausgefahren, dachten mit und sagten: Hier Jürg, da kannst du filmen, jetzt reden sie über das und das.

Wo werdet ihr den Film zeigen?
J.N: In der Schweiz soll er in die Kinos kommen. Der Rest hängt vom Erfolg ab und davon, ob es uns gelingt, die Leute zu überzeugen, dass wir keinen blossen Kuh- und keinen Entwicklungsprojektfilm gemacht haben, auch nicht einen Film, der nur Bauern angeht, sondern dass es darin auch um Gesundheit und Ernährung geht. Um Themen also, die alle angehen.
Und in Afrika?
J.N: Natürlich werden wir ihn auch in Afrika zeigen. Wir wissen, dass wir ihn in Ouagadougou am diesjährigen pan-afrikanischen Festival 2001 zeigen können - als Sonderfilm, weil im offiziellen Programm nur hundertprozentig afrikanische Spielfilme vorkommen dürfen. Dann werden wir mit Cinémobiles, fahrbaren kleinen Kinos, zu den Leuten in die Dörfer und Städte gehen. Verschiedene regionale Organisationen der Peul werden das selber organisieren, Fatoumata Diallo hat uns gesagt, der Film werde überall gezeigt, wo die Peul leben, dass heisst im ganzen Sahel-Gürtel von Kamerun bis Senegal.

Mit Untertiteln?
J.N: Nein, das geht nicht, wegen des Analphabetismus. Wir planen zwei vertonte Versionen, eine volle französische für Ouagadougou und eine volle Peul-Version. Die Schweizer Landwirte, die im Film vorkommen, werden dann Peul ‹sprechen›.

 

Du warst das erste Mal in Afrika. Was für Erfahrungen hast du gemacht?
J.N: Die Langsamkeit hat mich beeindruckt. Ich bin ein hektischer Mensch, aber es hat mich flachgelegt im Sahel - die Hitze, das Klima, das Essen. Ich wurde buchstäblich abgebremst. Das war eine spannende Erfahrung. Eine weitere war die Höflichkeit unter den Peul. Wenn ich den Kopf durchsetzen wollte, oder sauer wurde, dann war grad fertig - entweder sie wurden traurig oder sie liefen weg. Schliesslich bleiben mir diese Kühe ewig in Erinnerung. Sie sind wie überdimensionierte Rehe, schnell, flink, nervös. Sie liegen nicht herum wie bei uns, sondern laufen. Und sie müssen nicht ständig kauen wie unsere Kühe, die jeden Tag ihre 80 Kilo Gras müllern.



Gespräch: Markus Haefliger

 




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